Kazuma Kiryu hat mit Yakuza 6: Song of Life seinen vermeintlichen Ruhestand angetreten, der Weg für einen Nachfolger als Träger des legendären Drachentattoos und gleichzeitigen Beschützers von Kamurocho war demnach geebnet. In Yakuza: Like A Dragon (oder auch Yakuza 7) übernehmt ihr deshalb die Rolle von Ichiban Kasuga, einem Aushilfsyakuza, der im Laufe der Geschichte vom kleinen Fisch zur Lichtgestalt der Unterwelt heranwächst. Ob das Spiel und auch Kasuga an die Qualität von Kiyru und seinen Abenteuern herankommt möchte ich im folgenden Review klären.
Neue Geschichte – alte Bekannte
Ichiban hat es nicht leicht gehabt. In einem Freudenhaus geboren, den Großteil der Kindheit und Jugend elternlos aufgewachsen, früh auf die schiefe Bahn gelangt. Ein hochrangiges Mitglied des Tojo-Clans, Masumi Arakawa, gleichzeitig auch Patriarch der gleichnamigen Arakawa-Familie, nimmt Ichiban unter seine Fittiche und führt ihn ins Yakuzaleben ein. Unendlich dankbar für die ihm gegebene und zugegebenermaßen illegale Chance schwört Ichiban Masumi ewige Treue und Loyalität. Diese wird zu Beginn der Geschichte auch sofort auf die Probe gestellt, denn unser Protagonist soll sich eines Mordes schuldig bekennen, den er nicht begangen hat. Das macht er auch, doch nach seiner langjährigen Gefängnisstrafe ist nach seiner Rückkehr nach Kamurocho nichts mehr wie es mal war. Das muss er auf im wahrsten Sinne des Wortes schmerzliche Art und Weise erfahren, eine Art und Weise, die ihn unfreiwillig nach Yokohama treibt und sich Yakuza 7 dehalb schon zu den Vorgängern unterscheidet.
Fast schon Yakuza-typisch möchte ich an dieser Stelle nicht zu sehr auf Einzelheiten der Story eingehen, da diese für mich wieder einmal mit das Highlight des Spiels darstellt. Auch wenn es zum Ende hin teilweise sehr abstrus und unrealistisch wird, so passt es doch irgendwie ins Yakuza-Universum und hält ungemein bei Laune. Auch Ichiban als Charakter konnte ich ziemlich schnell ins Herz schließen und ihn als Kazuma Nachfolger „akzeptieren“. Im Gegensatz zum ruhigen und eher wortkargen Vorgänger ist Ichiban vorlaut, aufgedreht und hin und wieder auch sehr unbedacht, wird dabei aber nie nervig oder unsympathisch, da hinter der lauten Fassade ein emotionaler und mitunter naiv-gutgläubiger Held steckt. Hier muss ich ein großes Lob an die Entwickler, die Ryu Ga Gotoku Studios, aussprechen, denn nach Judgment haben sie es erneut geschafft, mich mit einer Hauptfigur abzuholen, die nicht Kazuma Kiryu heißt. Auch der Restcast weiß zu überzeugen und liefert nicht nur einfache schwarz-weiß Malerei ab sondern ist zum großen Teil vielschichtig mit nachvollziehbaren Motiven.
Vom Brawler zum JRPG
Die wohl noch größere Neuerung neben dem Schauplatzwechsel ist der Wechsel des Genres. Während Yakuza 0-6 noch waschechte Brawler waren, wagt man sich mit Yakuza: Like A Dragon in die Welt der JRPGs. Genretypisch wird rundenbasiert gehandelt, seien es Angriffe, „Zauber“ oder die Nutzung von Gegenständen. Eure Figuren und auch die des Gegners bleiben jedoch ständig in automatisierter Bewegung, um die Umgebung in Angriffe miteinzubeziehen. Ein kleines Beispiel: ihr kämpft mit eurer Truppe an einer Straße, an der ein Cafe steht. Ihr wählt einen normalen Angriff aus und bewegt euch auf den Gegner zu, ein Stuhl des Cafes steht jedoch zwischen euch und eurem Ziel. Der Stuhl wird daraufhin als Waffe missbraucht und gegen den Gegner getreten, dieser fällt daraufhin auf die Straße und wird von einem Auto überfahren. Das ist natürlich ein optimales Szenario und läuft sehr selten so ab, stattdessen bleiben die Figuren öfters mal hängen, laufen selber vor Fahrzeuge oder treffen Leute aus dem eigenen Team. In der Theorie sind diese „bewegungsintensiven“ Rundenkämpfe sicher interessant und teilweise auch wirkungsvoll (gerade bei Flächenangriffen kann man schön timen, sobald sich genügend Gegner auf einem Fleck befinden), funktionieren aber noch nicht problemlos genug und sind zu sehr vom Zufall abhängig.
Ansonsten könnt ihr wie bereits erwähnt auch Zauber wirken, die jedoch in typischer Japano-Over-The-Top Art präsentiert werden. Da Yakuza in einem weitestgehend realistischen Setting spielt haben sich die Entwickler aber einen witzigen Trick einfallen lassen, um Magie und Summons dennoch übertrieben darstellen zu können. Kasuga ist nämlich riesiger Dragon Quest Fan und stellt sich die Kämpfe als Rollenspielduelle vor, wie es eben bei Dragon Quest der Fall ist. Da Yakuza 7 nun auch selber ein JRPG ist haben die Ryu Ga Gotoku Studios dort eine witzige Metaebene getroffen, die das unrealistische Kampfgeschehen ziemlich clever erklärt und sich dabei auch selber nicht zu ernst nimmt. Da wird dann auch mal eine Horde Bauarbeiter angeheuert, die den Gegner auf der Suche nach Nahrung für die Mittagspause zertrampeln oder es wird eine Tanzchoreografie mit Leuchtstäben zelebriert, die dem Feind dabei um die Ohren gehauen werden.
Die Art der Zauber bzw. Skills wird dabei über ein Jobsystem festgelegt, bei dem ihr für eure Party Jobs auswählen könnt, die mit Kasuga und Co. zusammen leveln und so stärkere Aktionen freischalten. Die Jobs reichen dabei von Held über Security bis hin zur Hostess, für genügend bescheuerte Abwechslung ist auf jeden Fall gesorgt. Mit dem Leveln der Jobs tritt jedoch auch ein Problem auf: solltet ihr merken, dass eure Jobzusammenstellung für die Party nicht passt und ihr eure Klasse wechseln müsst, so müsst ihr zwangsläufig auch wieder Level grinden, da ihr sonst im weiteren Verlauf des Spiels keine Chance mehr haben werdet. Damit kommen wir direkt zu noch einem Kritikpunkt von mir, die Bosse sind nämlich teilweise bockschwer und können den Spielfluss stark ausbremsen. So kann es vorkommen, dass man bestimmte Bosse zigmal versuchen muss, eventuell vorher in Dungeons noch einmal Leveln sollte und sich dann nochmal an den Gegner setzt, die dazu auch noch HP Tanks sind und sich ein Kampf dann bis zu einer Stunde ziehen kann. Bei einer Niederlage könnt ihr euch ja vorstellen, wie lange das dann hin und wieder dauern kann, bis man einen Boss gelegt hat. Die Duelle sind dafür aber immer sehr stimmungsvoll inszeniert und auch nie langweilig, nur langwierig.
Erwähnung finden müssen außerdem die sogenannten Poundmates, Summons vergleichbar mit Ifrit und Co. aus Final Fantasy. Für bestimmte Geldbeträge könnt ihr euch Hilfe an die Seite holen, die mit abgefahrenen Attacken massiven Schaden anrichten oder Teammitglieder heilen. Auch hier gilt: es gibt nichts, was für die Yakuza-Reihe zu verrückt wäre. Ein Huhn namens Omelette füllt die HP eurer Truppe auf, während ein Yakuzaboss mit Babyfetisch sich als selbiges verkleidet und den Gegnern negative Statuseffekte reindrückt. Diese Poundmates könnt ihr auch nich beliebig oft rufen, alle haben eine Cooldownzeit oder lassen sich nur zu bestimmten Tageszeiten rufen.
Was Loot und Crafting angeht bietet Yakuza: Like A Dragon nichts, was andere JRPGs nicht auch bieten. Ihr könnt Waffen und Ausrüstung sammeln und aufrüsten lassen, insofern ihr die passenden Materialen dafür habt. Etwas schade find ich, dass Rüstung nicht sichtbar am Charakter angebracht ist, trotz des Kniffs mit Kasugas Vorstellungskraft. Die Optik während den Kämpfen wird nur vom Job bestimmt, außerhalb tragen die Figuren immer die selben Klamotten. Da hätte ich mir etwas mehr Individualisierungsmöglichkeiten gewünscht.
Zufallskämpfe gibt es nicht, da man die Gegner immer rechtzeitig sieht und man ihnen so theoretisch aus dem Weg gehen kann. Die Dungeons, sowohl storygetrieben als auch alternativ, schwanken in der Qualität leider und sind teilweise sehr uninspiriert und ideenlos. Es gibt sehr hübsche Locations, es gibt jedoch auch Gebiete, bei denen man Stockwerk um Stockwerk gefühlt immer die gleichen Gänge und Assets sieht.
Insgesamt ist das JRPG Gameplay allerdings sehr gut umgesetzt und trotz einiger Kritikpunkte meinerseits hatte ich dank der spannenden Kämpfe und vielseitigen und teilweise herrlich bekloppten Gegner sehr viel Freude mit dem Kampfsystem. Kleine Extras wie Miniquicktimeevents um Angriffe stärker zu machen oder Attacken besser zu blocken lockern das klassische Konzept der rundenbasierten Kloppereien etwas auf.
Neben den Kämpfen gibt es in Yokohama aber auch so noch genug zu tun. Die obligatorischen Spielautomaten (Virtua Fighter!) dürfen dabei natürlich genauso wenig fehlen wie Karaoke Bars oder Mahjong Bretter. Spaßig ist außerdem ein Mario Kart Verschnitt namens Dragon Kart, der trotz Fahrphysik aus der Hölle für einige Spielstunden unterhalten kann, ebenso wie ein Pfandflaschensammelspiel, das sich am ehesten als eine Art 3D Pacman beschreiben lässt. Ihr könnt Restaurants besuchen (und dabei eure HP und MP auffüllen) oder als Geschäftsführer eines Pralinengeschäfts versuchen, groß am Aktienmarkt mitzumischen (unbedingt machen!). Langweilig sollte euch also abseits der Hauptquest nicht werden und auch nach Spielende gibt es genug zu tun, Stichwort Dungeons. Natürlich gibt es auch unzählige Nebenquest, die an Absurdität oft kaum zu überbieten sind – wer keinen Zugang zu japanischem Humor hat wird wohl öfter mal mit dem Kopf schütteln. Für Langzeitspielspass ist auf jeden Fall gesorgt, ich habe mit kleinen Ausflügen zum Leveln und das ein oder andere Minigame knapp 50 Stunden auf dem Tacho gehabt, bis ich leider den Abspann gesehen habe. Leider deshalb, weil es mir trotz der Macken unheimlich Spaß gemacht hat und ich ruhig noch etwas Storynachschlag vertragen hätte.
Schöne Technik mit Einschränkungen
Ich habe Yakuza: Like A Dragon auf der Xbox Series X gespielt und kann mich generell nicht beschweren. Natürlich sieht es nicht aus wie ein reines Next-Gen Spiel, man merkt dass das Spiel auch für die alten Systeme released wurde, aber allein die durchgehend hohe Framerate sorgt für erhöhten Spielspaß. Texturen sind hin und wieder etwas matschig, dafür sehen die Gesichtsanimationen in den Zwischensequenzen sehr schön aus.
Ein Problem ist mir jedoch mit dem Quick Resume Feature der XSX aufgefallen, das hat nämlich nicht richtig funktioniert. Sobald ich das Spiel beendet und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen hatte blieb das Spiel an Ladescreens hängen oder ich konnte keine Aktionen mehr ausführen. Durch die SSD sind die Ladezeit auch bei Neustart und generell im Spiel kaum bemerkbar, dennoch schade dass das neue Feature der Xbox nicht so funktioniert hat wie es sollte.
Akustisch gibt es wenig auszusetzen, auch wenn man Sounds teilweise aus den vorherigen Yakuza Teilen recycled hat. Der Soundtrack nimmt im Laufe des Spiels an Qualität zu und erreicht am Ende die gewohnt epochalen Auswüchse, die auch schon in den Vorgängern für Gänsehaut gesorgt haben.
Ich habe die japanische Sprachausgabe mit deutschen Untertiteln gewählt, da die Texte bei der englischen Vertonung hin und wieder nicht mit dem Gesagten übereinstimmen und für Verwirrung sorgen können. Außerdem passen die japanischen Synchronsprecher auch viel besser in das Setting, das ja quasi von ostasiatischem Flair nur so sprüht und man ständig daran erinnert wird, dass man sich in Japan befindet.
Fazit
Ja, Yakuza: Like A Dragon ist nicht perfekt. Es hat seine spielerischen Macken und brennt auch grafisch kein Feuerwerk ab. Aber es hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Die Story wird spannend erzählt und hält einen bei der Stange, das Kampfsystem macht vieles richtig und hat durch den japanischen Humor auch noch ein Alleinstellungsmerkmal in Sachen Absurdität. Ich bin davon überzeugt, dass die Ryu Ga Gotoku Studios und Sega, sollte auch Yakuza 8 ein JRPG werden, an den richtigen Stellschrauben drehen und das gute Grundgerüst weiter verfeinern werden. Rein vom Spielspaß ist es für mich aber auch so schon mit eines der besten Spiele 2020.